Judith Hopf, Christian Jankowski, Anna McCarthy, Alexandra Navratil, Anri Sala, Clea Stracke & Verena Seibt, Veronika Veit und Anna Witt
I WOULD PREFER NOT TO, kuratiert von Dr. Christian Hartard
19.04. - 25.05.2013
Eröffnung: | Donnerstag, 18. April 2013, 19-21 Uhr |
Einführung: | Dr. Christian Hartard |
Öffnungszeiten: | Mi/Fr 13-18 Uhr, Do 13-19 Uhr, Sa 12-16 Uhr |
Selbstverweigerung und passiver Widerstand bis zum Tod: Diesen tragischen Lebensweg geht „Bartleby, der Schreiber“ in Herman Melvilles gleichnamiger Erzählung (erstmals publiziert 1853). Als Kopist in einer Anwaltskanzlei an der Wallstreet tätig, lehnt er die Ausführung der ihm zugeteilten Aufgaben höflich, wenn auch deutlich, mit dem Worten I WOULD PREFER NOT TO ab. In seinem Zustand der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung behält Bartleby diese zurückweisende Haltung bei und verhungert schließlich, weil er sogar die Nahrungsaufnahme verweigert. Obgleich die nach dem berühmten Literaturzitat betitelte Ausstellung in der Galerie Esther Donatz keinesfalls eine radikale Verneinung des Lebens proklamiert, sind die gezeigten Filme und Videoarbeiten vielfach Ausdruck des Sich-Aufbäumens, des Widerstands oder des Ausbruchs aus gesellschaftlichen Restriktionen. Sie schildern ebenso schmerzliche Auseinandersetzungen mit dem Selbst wie banale Kämpfe des Alltags. Ein Entrinnen ist kaum möglich; auch verspricht das eigene Rebellieren nicht unbedingt Veränderungen. Dennoch ist Stillhalten zumeist keine Option. Neben Videoarbeiten von Anna McCarthy, Verena Seibt & Clea Stracke sowie Veronika Veit, die von der Galerie Esther Donatz vertreten werden, stellt die Gruppenschau Werke einiger Gastkünstler vor. In SOME END OF THINGS:THE CONCEPTION OF YOUTH (2011) lässt Judith Hopf (*1969 in Karlsruhe), die 2012 bei der documenta vertreten war, ihren Protagonisten im Eier-Kostüm durch ein modernes Bürogebäude wandern. Schon aufgrund seiner runden Form wirkt das Ei in der streng geometrischen Architektur deplatziert. Die Bemühungen, durch die Tür zu passen, scheitern. Fraglich ist, ob eine Anpassung überhaupt angestrebt wird oder sich im „Anecken“ das Aufbegehren der Jugend zeigt. Christian Jankowski (*1968 in Göttingen), ausgezeichnet mit dem Videonale-Preis der KfW Stiftung 2013, dokumentiert in ANGELS OF REVENGE (2006) Rachefantasien von Teilnehmern eines Kostümwettbewerbs, der im Rahmen einer Horrormesse in Chicago stattfand. Versteckt hinter einer düsteren und bizarren Maskerade beantworten verkleidete Besucher, wer ihnen im Leben am meisten Unrecht getan hat und wie sie dies vergelten würden. Der Zuschauer wird mit tragischen Geschichten, aber auch wüsten Beschimpfungen und Drohungen konfrontiert. So wie die Teilnehmer der Horrormesse durch Rollenspiele ihrem Alltag entfliehen, bricht der BORED REBEL IN MOOSACH (2010) der britischen Künstlerin Anna McCarthy (*1981 in München) für ein paar Stunden aus seiner bürgerlichen Umgebung aus: Er rebelliert, indem er eine Lederjacke mit der Aufschrift „Right on“ trägt, ohne Helm Fahrrad fährt, im Park pöbelt und gegen eine Mülltonne tritt, die nicht umfallen will. Mit dem Erschrecken von Enten beendet er seinen revolutionären Auftritt. Die Videoarbeit ist Teil von Anna McCarthys multimedialem Projekt „How to Start a Revolution“, das in unterschiedlichen Institutionen von München bis London ausgestellt wurde. In THE EXTRA (2007) von Alexandra Navratil (* 1978 in Zürich) spiegeln sich die „Ausbrüche“, die der Protagonist erlebt, fast ausschließlich auf mimischer Ebene wider: Ein mittels Spiegelungen vierfach dargestellter Mann übt sich mal zaghaft, mal abrupt im Grimassen-Schneiden. Er scheint gefangen in einem grotesken Spiel mit seinem multiplizierten Spiegelbild, das sich als Illusion erweist. Alexandra Navratil, die unter anderem zweifache Trägerin des Swiss Art Awards ist, zeigt in diesem Jahr eine Einzelausstellung im Kunstmuseum Winterthur. Anri Sala (*1974 in Tirana/Albanien), Teilnehmer der documenta 2012, inszeniert NATURALMYSTIC (TOMAHAWK #2) (2002) in einem Tonstudio. Statt der erwarteten Musik imitiert der vor ein Mikrofon tretende Protagonist jedoch das bedrohliche Geräusch einer explodierenden Tomahawk-Rakete, das er mehrfach wiederholt. Mittels einer akustischen Täuschung werden Erinnerungen an traumatisierende und möglicherweise verdrängte Kriegserlebnisse evoziert. ALLES IN ORDNUNG (II) (2010) von Clea Stracke (* 1982 in Berlin-Tempelhof) & Verena Seibt (*1980 in Dachau) lässt Chaos über einen ordnungsliebenden Mann hereinbrechen, der verschiedene Papiere und Akten auf seinem Schreibtisch sichtet, strukturiert und mit großer Sorgfalt ablegt. Sein fest verankertes System wird dabei durch plötzlich entfachte, unkontrollierbare Kräfte erschüttert. Clea Stracke & Verena Seibt wurden 2012 mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet und haben jüngst eine Arbeit im Rahmen des Videonale Parcours im Bonner Kunstverein präsentiert. In DIE FAUST (2010) von Veronika Veit (*1968 in München) erweist sich die vorgegebene Familienidylle zwischen Mutter und Tochter als trügerisch. Monotone Klaviermusik begleitet die einsam und diszipliniert ausgeführte Handarbeit der beiden, bis die eiserne Stille explosionsartig durchbrochen wird. Ob der „schöne Schein“ wieder hergestellt werden kann? Veronika Veit, Preisträgerin des Bayerischen Kunstförderpreises 2006, hat ihre Werke in nationalen und internationalen Institutionen vielfach ausgestellt. Aktuell ist die Künstlerin bei einer Schau in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe vertreten. In der dreiteiligen Videoinstallation GLEITZEIT (2010) lässt Anna Witt (* 1981 in Wasserburg/Inn) Passanten für ein symbolisches Honorar mit erhobener Faust, wie sie aus der Arbeiterbewegung hervorgegangen ist, posieren. Die symbolträchtige Geste wird dabei zu einer sinnentleerten Handlung, die gleichzeitig einem marktwirtschaftlichen Dienstleistungsgedanken untergeordnet ist. Die Dauer der eingenommenen Haltung durften die Teilnehmer selbst entscheiden, so auch welcher Zeitaufwand ihnen angemessen erschien. Anna Witt erhielt 2012 den Bayerischen Kunstförderpreis.
Die Ausstellung wird im Rahmen von KINO DER KUNST präsentiert. |
Süddeutsche Zeitung
Ich möchte lieber nicht
Artikel von Evelyn Vogel
Süddeutsche Zeitung, 16.05.2013, Bayern Region, Seite R20